
Bildungsungleichheit durch Homogenisierung
In meinem Beitrag zum Thema „Inequality“ des diesjährigen Blog Action Day gehe ich der Frage nach, wie Bildungsungleichheit entsteht. Ungleichheit in der Bildung wird hier verstanden als nicht vorhandene Chancengleichheit aller Schüler und Schülerinnen.
Im deutschen Bildungssystem wird Ungleichheit vor allem dadurch verursacht, dass Schulen nicht in der Lage sind, mit der gesellschaftlichen Vielfalt umzugehen. Durch das Selektieren entlang bestimmter Differenzlinien, können individuelle Potenziale nicht berücksichtigt werden und es entstehen ungleiche Bildungschancen.
In Deutschland wird viel über die Chancengleichheit im Bildungssystem debattiert. Die soziale Herkunft bestimme über die Aufstiegschancen sagen die einen und führen gern einmal Bourdieu an und beginnen, das objektivierte Kulturkapital in Form von der Größe der Bücherwände im Elternhaushalt zu vergleichen. Die Durchlässigkeit wäre sehr gut sagen die anderen. Das fein zergliederte Bildungssystem mit seinen unzähligen Verzweigungen erlaube auch einen Aufstieg auf dem zweiten oder gar dritten Bildungsweg. Verschwendete Lebenszeit? Nein. Lebenslanges Lernen.
Im Moment steht also die soziale Herkunft im Mittelpunkt der Debatte um Ungleichheit im Bildungssystem. Diese Ungleichheit hat sich aber nicht nur um dieses eine Merkmal herum herausgebildet. Im Laufe der Geschichte gab es verschiedene Differenzlinien, die zu ungleichen Bildungschancen führten.
Verschiedene Differenzlinien
Homogenisierung führt zu Bildungsungerechtigkeit
Einige der genannten Differenzlinien spielen heute keine Rolle mehr. Andere führen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Homogenisierung, die es nicht mehr erlaubt, die gesellschaftliche Vielfalt im Klassenzimmer kennenzulernen. Aufgrund der Differenzen Behinderung/Nicht-Behinderung, Lebensalter, Sozialstatus, Sprache, sowie „Begabung“ findet eine Selektierung und damit eine Homogenisierung von Lerngruppen statt.
Ungleichheit entsteht also im Laufe der Zeit vor dem Hintergrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen aufgrund unterschiedlicher Differenzen. All diese Differenzen sollten in einem gerechten Bildungssystem keine Rolle spielen. Denn in einem solchen würde jeder Schüler und jede Schülerin die individuelle Aufmerksamkeit bekommen, die er oder sie benötigt. Eine individuelle Förderung ist für die Überwindung der Ungleichheit im Bildungssystem grundlegend. Lernende sind ganz unterschiedlich verschieden*. Die Vielfalt der Gesellschaft muss in Klassenzimmern abgebildet sein und Schulen müssen in die Lage versetzt werden, mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten und Begabungen der Schüler innerhalb einer Lerngruppe angemessen umgehen zu können. Bisher ist dies nicht der Fall und so werden die Differenzlinien weiterhin für Ungleichheit im Bildungssystem sorgen.
Es ist ein Paradox: Aufgrund der Selektion auf Basis der Differenzen wird innerhalb der Klassen eine „Gleichartigkeit“ erreicht. Dadurch kommt es wiederum zu Bildungsungerechtigkeit. Weil nicht die individuellen Stärken und Schwächen der Kinder betrachtet werden, sondern die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen.
*Dieser Ausdruck stammt von dem Buch „Unterschiedlich verschieden. Differenzen in der Erziehungswissenschaft.“ Ich benutze ihn gern, weil er diesen Zustand der Individualität so treffend beschreibt.